Blogbeitrag von Samantha Galley
Im November 2023 startete der „Bonus réparation“ in Frankreich. Er ist auf 5 Jahre begrenzt und verfolgt das Ziel, Ressourcenverschwendung entgegenzuwirken und die Verbraucher/innen in Frankreich zu einem ökologisch verantwortungsvollen Konsum zu ermutigen, in dem sie ihre Kleidung und Schuhe reparieren lassen. Seit 2007 tragen Hersteller/innen für den entstehenden Müll, der durch die in Frankreich verkaufte Ware entsteht, eine Verantwortung. Aktuell gilt dafür das Gesetz „Loi n°2020-105 – loi anti-gaspillage pour une économie circulaire“ (AGEC ). Die Branche für Bekleidungstextilien, Haushaltswäsche und Schuhe (TLC) betraf es auch, sie mussten laut den Anforderungen des Artikel L. 541-15-10 eine Umweltorganisation gründen – die Eco TLC, heute Refashion. Auch waren sie durch den Artikel L. 541-15-10 – Absatz 4 verpflichtet, einen Fonds (Fonds Réparation Refashion) einzurichten, der wiederum den Reparaturbonus ermöglich. So viel zur gesetzlichen Grundlage.
Aber wie funktioniert der Bonus? Verbraucher/innen bringen ihre kaputte Kleidung oder Schuhe zu einer zertifizierten Reparaturwerkstatt. Dort wird eine Ermäßigung direkt auf der Rechnung für die Reparatur abgezogen. Die Werkstätten sind auf der Webseite von Refashion zu finden. Aber: Der Bonus kann im Bereich Schuhe nur für ausgewählte Arbeiten angewendet werden. Dazu gehören:
- Die Erneuerung einer Gummi-Schutzsohle für Lederschuhsohlen (8 €)
- Die Erneuerung der Langsohle aus Gummi (18 €) oder Leder (25 €)
- Näharbeiten an Schuhen und Klebearbeiten an den Sohlen (8 €)
- Die Erneuerung des Absatzflecks (nicht des Absatzblocks; 7€)
- Die Erneuerung eines Reißverschlusses (< 20 cm, 10 €; > 20 cm, 14 €)
Seit dem Start sind nun mehr als sechs Monate vergangen – weswegen wir uns fragen, wie es in der Praxis aussieht! Deswegen haben wir mit mehreren Schuhmacher/innen in Paris gesprochen, um sie nach ihren Erfahrungen mit dem Reparaturbonus zu fragen.
Ein erster Blick: über den Anmeldeprozess und seine Hürden
Um am Reparaturbonus teilnehmen zu können, müssen Schuhmacher/innen sich auf der offiziellen Webseite anmelden und ein umfangreiches Anmeldeverfahren durchlaufen. Dazu müssen sie zahlreiche Unterlagen mit einreichen, dazu gehören der „K-Bis“ (ein digitales Zertifikat zur Gewerbeanmeldung), eine Bescheinigung, dass man ein Konto bei der „Urssaf“ hat und seine Sozialabgaben zahlt sowie eine Bescheinigung, dass das Unternehmen seine Steuern bezahlt. Auch gehören zu den Unterlagen ein Diplom/Gesellenbrief im Textil- und/oder Schuhhandwerk und Rechnungen, die zeigen, dass man in dieser Branche als Reparaturhandwerker/in arbeitet. Wenn diese Hürde (für einige war sie sehr groß) überwunden war, folgten gleich schon die nächsten, erzählen uns mehrere Schuhmacher/innen. Teilnehmende Werkstätten benötigen Zugang zum Internet und eine Kamera, um die notwendigen Dokumente hochzuladen. Für viele kein Problem im Zeitalter der Digitalisierung. Für diejenigen, die aber noch sehr analog ihre Werkstatt betreiben doch eine Herausforderung mit Investitionsbereitschaft. Auch kostet die Teilnahme am Programm aufgrund des hohen Verwaltungsaufwands viel Zeit. Die Schuhmacher/innen müssen Fotos von der Rechnung und dem Reparaturstück machen und auf der Webseite von Refashion hochladen, sodass der vorgeschossene Betrag gut geschrieben und nach etwa einem Monat zurückerstattet wird. Nicht nur die Anmeldung, sondern auch die Abrechnung zur Teilnahmen am Programm läuft über die Webseite von Refashion. Am Anfang war die Webseite noch sehr fehleranfällig, weswegen viele ihre Eingaben mehrmals wiederholen mussten. Es wird also deutlich, dass die Teilnahme schon einiges abverlangt, vor allen von denjenigen, die keine Leidenschaft für Papierkram aufbringen können. Wenn die Belege nicht regelmäßig hochgeladen werden, entsteht so manches Chaos erzählte uns ein Schuhmacher und grinste.
Zweiter Blick: Erste Erfahrungen und Erkenntnisse zur Kundschaft, Preise und Marketing
Trotz der Herausforderungen sehen viele Schuhmacher/innen auch die positiven Seiten des Programms. Ein paar berichteten von einer Zunahme neuer Kundschaft, die durch den Bonus erstmals Reparaturdienstleistungen in Anspruch nahmen. Aber auch, dass Stammkundschaft aufgrund des Rabatts nun Schuhe zum Reparieren bringen würden, die sonst beim Abwägen der Rentabilität durchgefallen wären. Andere Schuhmacher/innen erzählten uns, dass sie noch nicht abwägen können, ob sich die Teilnahme und der dazugehörige Aufwand tatsächlich lohnen. Nicht jede Werkstatt, die wir besucht haben, war von Anfang an dabei. Zwei Werkstätten nehmen erst seit dem Frühjahr 2024 am Programm teil. Von einem Schuhmacher erfuhren wir, dass die Teilnahme am Programm keine Sache der Überzeugung ist, sondern des Images. Damit hat das Geschäft ein Aushängeschild als nachhaltiges Unternehmen bekommen. Auch sprachen wir mit Schuhmacher/innen, die nicht am Bonus teilnehmen, da ihnen der Aufwand zu groß ist und sie davon genervt wären. Auch gaben welche an, dass sie eigentlich genug zu tun haben und befürchten, dass sie durch die Teilnahme zu viele Aufträge bekämen und diese nicht mehr bewältigen können – weil sie schon älter sind, körperlich nicht mehr so viel arbeiten können und hoffen bald in Rente zu gehen.
Eines wurden jedenfalls deutlich: die Motivation der Schuhmacher/innen und die Einstellung der Kundschaft ist stark vom Standort der Werkstatt abhängig. In wohlhabenden Vierteln spielt die Höhe der Reparaturkosten keine Rolle. Dort hat die Kundschaft hochwertige Schuhe und müssen wenig bis gar nicht überzeugt werden, dass sich die Reparatur lohnt. Die Reparatur ist für diese Klientel selbstverständlich und auch, dass die Reparatur ihren Preis hat. Die Wertschätzung für das Handwerk und die Reparaturarbeit ist also vorhanden. Auf der anderen Seite trafen wir aber auch Schuhmacher/innen, die sehr viel mit ihrer Kundschaft diskutieren müssen und der Preis in diesen Diskussionen eine große Bedeutung hat. Die Wertschätzung für das Handwerk und für die Handwerker/innen sei bei dieser Kundschaft oft nicht vorhanden, klagen diverse Befragten. Die Motivation dieser Schuhmacher/innen am Programm teilzunehmen, ist deshalb sehr gering. Bei einigen zeigten sich deutlicher Missmut und Resignation.
18. Arrondissement – nicht weit voneinander entfernt, und doch unterschiedliche Kundschaft
Aber bleiben wir noch ein wenig beim Preisthema.
Ein Schuhmacher erzählte uns, dass sie verpflichtet sind ihre Kundschaft darüber zu informieren, dass die Werkstatt am Programm teilnimmt und was die Voraussetzungen für den Erhalt des Bonus sind. Der Kundschaft steht es dann frei, daran teilzunehmen oder nicht. Einige Schuhmacher/innen betonten noch, dass es ihnen sehr wichtig ist, der Kundschaft den eigentlichen Betrag mitzuteilen, wovon der jeweilige Bonusbetrag abgezogen wird. Sie erklären ihren Kundinnen und Kunden also, das es nur ein zeitlich befristeter Bonus ist, damit die sie verstehen, dass der Preis, den sie momentan zahlen, nicht dauerhaft ist. Viele Schuhmacher/innen befürchten nämlich, dass sich die Kundschaft zu sehr an die vergünstigten Preise gewöhnen und nach Ablauf des Programms vor den eigentlichen Preisen zurückschrecken. Sie befürchten, dass generell die Verbraucher/innen nur so lange reparieren lassen, wie der Bonus läuft. Auch schälte sich bei den Gesprächen eine weitere Erkenntnis heraus: eine Vorgabe des Programms an die teilnehmenden Werkstätten ist, dass der Betrag des Rabatts nicht mehr als 60 % des Gesamtpreises ausmachen darf. Viele Schuhmacher/innen merkten damit erst, dass ihre Preise viel zu niedrig waren. Beispielsweise hat ein Schuhmacher für das Wiederankleben der Sohle 10 € verlangt. Der Bonus für diese Dienstleistung beträgt aber 8 €, was also 80% des Bonusbetrags ausmachen würde. Der Preis müsste eigentlich mindestens bei rund 13,30 € liegen.
Viele Schuhmacher/innen haben jahrelang trotz Inflation ihre Preise nicht erhöht und bekommen nun die Chance dazu, diese an realistische Werte anzupassen. Das müssen sie auch, sonst können sie nicht am Programm teilnehmen. Einige Schuhmacher/innen wollten aufgrund des Mehraufwandes durch die Verwaltung ihre Preise erhöhen, zögerten aber aus Angst ihre Kundschaft zu verlieren. Andere sahen es als gerechtfertigte Maßnahme an (denn es ist schließlich auch Arbeitszeit und kein Hobby) und passten ihre Preise entsprechend an.
Uns ist außerdem aufgefallen, dass bis auf eine Werkstatt die Schuhmacher/innen keine eigene Werbung für das Programm machen. Sie informieren die Kundschaft nur bei der Beratung über den Bonus. In den Gesprächen kam heraus, dass viele eine zusätzliche Informations- und Imagekampagne seitens der Organisatoren für sinnvoll gehalten hätten – denn diese gibt es bisher nicht. Zwar würde die Sichtbarkeit auf der Webseite von Refashion schon helfen, neue Kundschaft anzulocken, die Reichweite wäre aber dennoch recht gering und hilft nicht gegen die mangelnde Wertschätzung für das Handwerk in der breiteren Gesellschaft, sagte uns eine Schuhmacherin. Eine gute Werbeaktion, um auf Reparatur aufmerksam zu machen und das Image der Reparatur und des Handwerk zu stärken, wäre sinnvoll gewesen. Zudem ergänzte sie, dass die Handwerker/innen alleine keine Aufklärungs- und Bildungsarbeit bei den Verbraucher/innen leisten können. Hier brauchen sie mehr Unterstützung seitens der Organisatoren und der Interessenvertretung des Handwerks.
Ausblick: Eine Chance mit Herausforderungen
Durch den Bonus wird ein Anreiz für Reparaturen geschaffen, damit sich nachhaltig der Konsum der Verbraucher/innen verändert. Vertreter aus der Branche für Bekleidungstextilien, Haushaltswäsche und Schuhe (TLC) schufen (weil sie verpflichtet waren) hierfür einen Fonds und organisierten das Programm. So weit so gut. Die Erfahrungen der Pariser Schuhmacher zeigen, dass der Bonus Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich bringt. Es konnten z.B. neue Kunden und Kundinnen mit dem Programm gewonnen werden. Für die Schuhmacher/innen soll der Verwaltungsaufwand groß sein – für die einen ist er mit ein bisschen Geduld und Disziplin zu bewältigen, für andere stellt er aber eine unüberbrückbare Hürde dar. Der unterschiedliche Grad der Wertschätzung gegenüber dem Handwerks – abhängig vom Stadtteil – verdeutlicht, dass eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz und Anerkennung nicht überall gegeben ist. Hier wäre eine stärkere Unterstützung durch die Organisatoren und Interessenvertreter des Handwerks in Form von Informations- und Imagekampagnen hilfreich, sodass ein besseres Bewusstsein für die Bedeutung von Reparaturen entsteht und die Handwerker/innen endlich mehr Wertschätzung erhalten. Das ausführliche informieren der Kundschaft über die Preise der Reparatur seitens der Schuhmacher/innen ist von immenser Wichtigkeit. Denn die Angst scheint sehr groß zu sein, dass die Kundschaft nach Ablauf des Programms weniger bereit sind, die regulären Preise zu akzeptieren, die Nachfrage nach Reparaturen sinken könnte und generell der Markt durch den Bonus verzerrt wird.
Ob sich durch den „Bonus réparation“ wirklich das Konsumverhalten der Verbraucher/innen nachhaltig verändert und er eine Unterstützung für das reparierende Handwerk darstellt, ist unklar und bleibt abzuwarten. Es ist aber ein recht gelungenes Beispiel, wie ein Reparaturbonus auch funktionieren kann, ohne dass ein Staat für die Finanzierung verantwortlich ist. Auch bringt das Programm neue Erkenntnisse für das Handwerk hervor, was etwa die Preise für die Reparaturen anbelangt.
Weitere Informationen sind u.a. auf der Webseite von Refashion zu finden.